Wer seid ihr? Wikinger?
Wie kann man eine Vorstellung von der Zeit der „Wikinger“ bekommen – und was heißt das überhaupt, Wikinger zu sein? Was ist uns heute überhaupt noch von der damaligen Zeit bekannt und warum scheint das Thema gerade so populär zu sein, dass es in Serien (Vikings) und Videospielen (Assassins Creed – Valhalla) prominent aufgegriffen wird?
Eine Gruppe von Jugendlichen, zum Teil aus dem Umfeld des Jugendzentrums „Luna“ in Sennestadt, haben sich vom 9. bis 12. August 2021 auf eine vielseitige Spurensuche begeben, indem sie versucht haben, sich in einem Liverollenspiel (Larp) in Figuren aus der Wikingerzeit hineinzuversetzen. Die Erlebnispädagog*innen und politische Bildner*innen der Waldritter übernahmen dabei die Koordination und die Vernetzung der beteiligten Partner*innen. Als Ort für dieses Experiment konnte das Archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen gewonnen werden, welches nicht nur über ein (nachgebildetes) Haus aus der Frühmittelalterzeit, sondern mit versierten Museumspädagog*innen auch über breites Wissen über die Zeit verfügen. Unterstützt wurde das Kooperationsprojekt zudem von zwei Theaterschauspieler*innen, die den Jugendlichen halfen, ihre Figur zu entwickeln und gut ins Spiel zu kommen.
Vier Tage in der „Wikingerzeit“ – das war fast zu wenig für solch ein vielseitiges Programm:
Zur Vorbereitung auf das Spiel bekamen die Teilnehmenden von den beiden Museumspädagogen einen Input in die Zeit des Frühmittelalters in Nordeuropa. Anschließend übernahmen die beiden Schauspieler*innen die Aufgabe, die Jugendlichen an Rollenspiel heranzuführen und ihre Rolle auszuarbeiten. Auf diese Weise und mit einfachen mittelalterlichen Kostümen ausgestattet, waren sie bestens gewappnet, sich ins Larp zu stürzen.
Im Spiel verkörperten die Teilnehmenden eine Rudergemeinschaft von Nordleuten, die ihr von Armut geplagtes Dorf verlassen mussten und nun an der Küste einer unbekannten Insel anlanden. Wie die Jugendlichen selbst wissen auch ihre Figuren wenig über die Bewohner der Insel, über Lebensart und Riten der Nordleute oder gar von Erzählungen über die Götter. Zum Glück konnten sie im Spiel ein Lager aufschlagen und fanden weise Ratgeber*innen, die ihnen helfen konnten, sich zu organisieren – ein Thing abzuhalten beispielsweise und eine Aufgabenverteilung festzulegen. Es stellte sich bald heraus, dass Teile der Insel von einer Gruppe von Leuten bevölkert war, die sich „die Raben“ nannten und dass schwierige Herausforderungen auf sie warteten, von denen es hieß, dass die Götter sie hinterlassen hätten. Der Ausgang der Geschichte war zu Beginn des Spiel noch offen – die von den Waldritter*innen, Schauspieler*innen und Helfer*innen des Freilichtmuseums verkörperten Figuren, auf welche die Teilnehmenden treffen konnten, hatten eine Grundhaltung und eigene Ziele – richteten sich in der Entwicklung der Figuren jedoch stark nach der Verhaltensweise der Jugendlichen, dass schließlich in einem recht unerwarteten Ende gipfelte.
Neben den narrativen Ereignissen der Geschichte gab es immer wieder auch handwerkliche und an einen historischen Alltag angelehnte Herausforderungen zu meistern. So konnte das Bogenschießen erprobt werden, Kupferarmbänder hergestellt werden und es wurden Geschichten aus der nordischen „Lieder-Edda“ über die Götter am Lagerfeuer erzählt. Mit diesen Elementen, welche von den Oerlinghausener Museumspädagogen umgesetzt wurden, vermittelten sie direkt auch immer einen Einblick in die Alltagswelt des Frühmittelalters und den gegenwärtigen fachlichen Wissensstand über diese Zeit.
Neben den vielseitigen Ereignissen des Spiels konnten aber immer auch Räume geschaffen werden, in denen sich die jugendlichen Teilnehmer*innen untereinander, aber auch mit den Teamer*innen austauschen konnten – sowohl über die Themen des Spiels, aber auch über ihren realen Alltag und ihre gegenwärtige Lebenswelt – am Lagerfeuer, bei einer Nachtwanderung und den gemeinsamen Mahlzeiten, die (glücklicherweise für „moderne Mägen“) nicht historisch gehalten waren. Am letzten Tag und als Abschluss der Veranstaltungen wurde in einer größeren Reflexion dann konkret auch nochmal die Frage gestellt, was unsere Vorstellung von der Zeit des Frühmittelalters und von „Wikingern“ mit unseren Alltag heute zu tun hat. Anhand einiger schnell entwickelten Bilder und damit auch Motiven des Spiels, aber auch anhand der Erfahrungen aus den historischen Inputs konnte, zunächst in einer „stummen“ (Fragen/ Antworten auf Flipchartpapier) und anschließend sehr lebhaften Diskussion auf einige wichtige Punkte eingegangen werden:
- Dass „Wikinger“ weder eine konkrete Gruppe von Menschen, noch Leute mit einer konkreten Tätigkeit waren, sondern eher Landbevölkerung, die sich in den Sommermonaten mit Raubzügen ihre Lebenssituation zu verbessern sucht („fara i viking“ = Bootsfahrt einer Privatperson auf eigene Kosten. Das kann sowohl Handels- , Erkundungs- oder Raubzug sein, aber auch der Aufbruch in neue Siedlungsgebiete).
- Dass Wikinger (abgesehen von wenigen, ausgebildeten Soldaten) weniger stark und heldenhaft waren, als man landläufig denkt, sondern vielmehr versuchten, schnell und unbemerkt zu rauben, als offen anzugreifen – weil sie vor allem überleben wollten.
- Dass das Label „Wikinger“ (egal ob bei Serien, Computerspielen, Rollenbildern oder der Herleitung einer völkischen Siedlungstradition) in der heutigen Zeit als Synonym für „ursprüngliche, wehrhafte, ehrenvolle und verlässliche Menschen/ Gemeinschaften“ so gut funktioniert, dass es sogar als Bezeichnung für Industrieprodukte wie Fleischbällchen, Seife oder alkoholische Getränke noch verkaufsfördernd ist – obwohl es nicht ansatzweise einer historischen Realität entspricht.
Abschließend kann man sagen, dass dieses Experiment, Jugendliche in eine frühmittelalterliche Welt mitzunehmen, um ihnen einerseits Wissen und eine erste Quellenkunde zu vermitteln und sie andererseits in ein gemeinschaftliches Erleben mitzunehmen, die in Beziehung zu ihrem Alltagsleben steht, gelungen ist. Auch wenn die erlebnis-, museums- und theaterpädagogischen Ansätze der beteiligten Akteur*innen zuweilen schwer unter einen Hut zu bringen waren, ist das Gesamtresultat, wie man auch an den Rückmeldungen der Teilnehmenden hören konnte, doch sehr positiv ausgefallen und die meisten Jugendlichen konnten etwas für sich mitnehmen. Für das kommende Jahr sind daher auch weitere Kooperationsprojekte mit dem Freilichtmuseum geplant.